Geschichte des Musischen Zentrum Wien
Masterarbeit: „Geschichte der Wiener Zeltgasse 7" von Harald Eggenberger
Die Anfänge
„In den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde in Wien die denkbar beste Ausbildung in unterschiedlichen künstlerischen Richtungen angeboten: die Musikakademie (heute Universität für Musik und darstellende Kunst), die Kunstakademie und Angewandte und die berühmte Schauspielschule das Max Reinhardt Seminar. Alles war da und befriedigte die höchsten Ansprüche. Um diesen Ansprüchen zu entsprechen galt es für junge Menschen Talent zu haben und zwar ein außergewöhnliches Talent. Nur dann hatte das Mädchen oder der Bursche die Chance aufgenommen zu werden und diese Ausbildung auch abzuschließen.
Natürlich gab es auch das Konservatorium der Stadt Wien und einige private Konservatorien, sowie in vielen Wiener Bezirken die Musikschulen der Stadt Wien. Ja, aber alle hatten eines gemeinsam – eine starke Auslese, eine anspruchsvolle, strenge Prüfung. Nur wer dies schaffte, durfte dabei sein. Aber da gab es unzählige Kinder und Jugendliche die es nicht geschafft haben, aber noch mehr solcher die es gar nicht erst versucht haben. Wohin mit einem schlummernden Talent, wie sollte das Interesse und die Neugier für künstlerische Ausdrucksmittel aufgedeckt und gefördert werden. Jedes Kind, jede/r Jugendliche hat ein Recht darauf künstlerische Ausdrucksformen kennen zu lernen, sie selbst zu erfahren, um sie als Kommunikationsmittel einsetzen zu können. Hier fehlte eine Einrichtung, welche jungen Menschen dieses weite Spektrum an Möglichkeiten erschließt.
Dem Leiter des Landesjugendreferates (damals beim Kulturamt) Dr. Kurt Wanasek, war das von Doris Tarlowski erfolgreich entwickelte Projekt in der „Stadt des Kindes“ sehr wohl bekannt. Von diesen Aktivitäten sehr angetan und von den Zielsetzungen überzeugt, hat er im Frühjahr 1976 nach einem seiner zahlreichen Besuche ein Gespräch mit Doris Tarlowski geführt. Beide waren sich einig: in Wien fehlte eine Einrichtung, welche Kindern alle musischen Bereiche erschließt: ohne Eignungstest, Aufnahmeprüfung oder anderer aufgezwungener Voraussetzungen. Erforderlich war nur die Bereitschaft mitzutun, Freude am Gestalten durch Musik, Rhythmus, Körpersprache, Rollenspiel und vieler weiterer Inhalte, war die selbstverständliche Folge dieses Angebotes. Die spielerische Form der Kursangebote war zu diesem Zeitpunkt ein absolutes Novum, welches Doris Tarlowski in allen ihren Konzepten konsequent entwickelte, weiter geprägt und praktisch angewandt hat. Nun galt es für sie, dieses Konzept anderen Voraussetzungen anzupassen, ein wenig abzuändern und zu erweitern.
Das Projekt „Musisches Zentrum“ der Stadt Wien war geboren. Räumlichkeiten fürs erste bald gefunden (Haus der Begegnung – 1150 Wien), ein Vertrag mit dem Verein Wiener Jugendkreis unterzeichnet. Die Aktivitäten konnten im Oktober 1976 beginnen. Frau Tarlowski leitete das Musische Zentrum 20 Jahre lang und setzte während ihrer Tätigkeit weitere Grundsteine durch Entwicklung neuer Konzepte für den Kursbetrieb und für außergewöhnliche Projekte.“ (Archiv)
Historische Entwicklung des Hauses Zeltgasse 7 und des Musischen Zentrum Wien
Das Haus Zeltgasse 7 im 8. Bezirk wurde im Jahr 1884 als Volks- und Hauptschule erbaut. Trotz schwerer Kriegsschäden am Ende des zweiten Weltkriegs bestand die Schule bis 1954. Danach wurde das Haus zwischenzeitlich als Unterkunft für das Archiv der Stadt Wien genutzt, bis 1960 die Planung für das „Haus der Wiener Jugend“ in der Zeltgasse 7 begann. Mit einem Jahr Planung und einem weiterem Jahr Umwidmung und bausubstanziellen Renovierungsarbeiten durch die Gemeinde Wien, den ÖGB und die Zentralsparkasse konnte schließlich 1962 mit dem eigenständigen Verein „Haus der Wiener Jugend“ das zweite und größte Jugendzentrum in Wien eröffnet werden. Zugleich zog auch das Bezirksmuseum Josefstadt in die Zeltgasse 7 ein.
Das „Haus der Wiener Jugend“wurde von Vereinen, Jugendorganisationen und Clubs genutzt und 1964 schließlich dem Verein „Wiener Jugendkreis“ einverleibt. Das Jahr darauf übernahm Herr Gottfried (Friedel) Posch die Leitung. In seinen 20 Jahren als Leiter fanden die Sozialistische Jugend, die Naturschutzjugend, der Club Junger Behinderter, die Bahaijugend sowie die Musikgruppen „Babylon“, „FOG“, „Atlas“, „Syndikat“ und „Däumling“ ihren Platz im Haus. Außerdem startete 1970 mit dem POP-ODROM der 1. Wiener Bandwettbewerb, der „Samstag Fünf Uhr Tee auf der Dachterrasse“ wurde 1969 ins Leben gerufen, ab 1972 startete der Discobetrieb im „TARTARUS“. 1976 wurde schließlich das „1. Wiener Jugendcafe“ in der Zeltgasse 7 in Betrieb genommen. Im Jugendcafe, welches Montag bis Samstag von 17-22 Uhr geöffnet hatte, gab es unterschiedliche Kinder- und Jugendclubaktivitäten in Bereichen wie z.B. Sport, Musik, Fotografie und Kunst, z.B. der „Club der leiwaundn Hawara“ oder „Sex für 3“.
Zeitgleich wurde das Musische Zentrum Wien im Haus der Begegnung im 15. Bezirk unter der Leitung von Doris Tarlowski eröffnet. Es sollte, in Erweiterung des Angebotes der Musikschulen der Stadt Wien, interessierten Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit bieten ihre künstlerischen Talente zu entfalten.
Mit dem 1. Juli 1978 wurde das Haus in der Zeltgasse dem Verein Jugendzentren der Stadt Wien (heute: Verein Wiener Jugendzentren) zugeordnet. Zahlreiche, u.a. Theater-, Foto-, Tischtennis- und Zeitungsgruppen (z.B. Redaktion des Rennbahn-Express), nahmen ihren Betrieb auf und unterschiedliche Musikveranstaltungen lockten ein junges Publikum in die Zeltgasse. 1980 zog das Bezirksmuseum Josefstadt aus dem Haus aus und ein Jahr später, aufgrund notwendiger Umbauarbeiten, auch die Wiener JugendleiterInnenschule.
1982 übersiedelte schließlich das Musische Zentrum Wien mit seiner Leiterin Prof. Doris Tarlowski aus dem 15. Bezirk in das „Haus der Wiener Jugend“. So teilten sich die kreative Arbeit des Musischen Zentrum Wien und die außerschulische Jugendarbeit des Vereins Wiener Jugendzentren kooperierend die 2500 Quadratmeter bis 1990, dem Jahr, in dem der offene Jugendbetrieb eingestellt und das gesamte Haus vom Musischen Zentrum Wien bespielt wurde.
Nach Umbauarbeiten bot das Musische Zentrum Wien Schwerpunktprogramme wie z.B. Livemusik am Wochenende, Kreativkurse in Tanz, Theater und Bildender Kunst und diverse Beratungsprogramme im Haus der Wiener Jugend an und erhielt dafür 1984 einen Preis für besondere Leistungen von der „Leopold Gratz-Stiftung“.
1985 übernahm Birgit Richter von Gottfried Posch für 3 Jahre die Leitung des Hauses. In dieser Zeit feierte das Musische Zentrum Wien 1986 sein zehnjähriges Jubiläum, während das „25-Jahresfest Zeltgasse“ 1987 am Programm stand. 1991 feierte das Musische Zentrum Wien sein 15-jähriges Jubiläum mit einem Symposium und setzte in den darauf folgenden Jahren Schwerpunkte in den Bereichen Theater, Kleinkinder und in der Malerei. Einige Exkursionen führten u.a. nach Polen, wo eine nach denselben Kriterien arbeitende Einrichtung begleitet wurde und noch immer wird.
Nach 21 Jahren als Leiterin verließ dessen Gründerin Doris Tarlowski das Musische Zentrum Wien 1997. Elfi Steup und dann 1999 Ingrid Henke übernahmen ihre Aufgaben. Im gleichen Jahr wurde auch die Fassade des Musischen Zentrum Wien unter Denkmalschutz gestellt. Bands und Tanzensembles des Musischen Zentrum Wien traten bei den Bezirksfestwochen und diversen Straßenfesten auf. Das Hausstreichorchester „Camerata Amica“ und das Jugendorchester „Ragazzi Musicali“ wurden gegründet. Im Jahr 2003 bekam die Fassade des Hauses einen Neuanstrich.
Ab September 2004 übernahm Christian Lubei die Leitung des Hauses. Die Beflaggung wechselte vom historischen Gelb in ein kräftiges und schon von weitem sichtbares Himmelblau. Die folgenden Jahre waren geprägt von der Entwicklung neuer niederschwelliger Projekte für Jugendliche, von Schwerpunktsetzungen im Genderbereich und der vermehrten Schaffung von Auftrittsmöglichkeiten für die jungen MusikerInnen, SchauspielerInnen und TänzerInnen. Das vereinsweite Mädchenkulturfestival wurde im Musischen Zentrum Wien verortet, die Gründung der „Girls-Only-Bands“ schaffte neue Perspektiven. Die „Mädchenbands“ erfreuen sich größter Beliebtheit und wurden im Jahr 2010 auf drei Bands ausgebaut.
Seit September 2011 leitet Gudrun Schweigkofler Wienerberger das Musische Zentrum Wien. So konzentriert sich das Musische Zentrum Wien verstärkt auf seine Kernaufgabe.